Einfach mal in den Wald gehen"Lasst uns doch einfach mal in den Wald gehen", war nach Aussage der Mutter eines Fünftklässlers der Vorschlag ihres Sohnes zur Sonntagsgestaltung. Damit hatte die um den Frühstückstisch versammelte Familie am wenigstens gerechnet. Vorschläge wie Kino in Kombination mit dem Besuch eines Fast-Food-Restaurants, der Besuch eines Fun-Parks, eines Erlebnisbades oder auch nur die Freigabe aller verfügbaren Bildschirme im Haus durch elterliches Abnicken, waren da schon eher erwartet worden.

Aber die Aufforderung, einfach mal in den Wald zu gehen, hat doch alle überrascht und die jüngere Schwester hat dann auch gleich gefragt "Was soll ich denn da?" Der Funke, der übergesprungen war, Neugier geweckt hat und zur Aufforderung "Lasst uns doch einfach mal in den Wald gehen" geführt hat, waren  die Waldjugendspiele im Jahrgang 5 der Burgsitzschule Spangenberg.

Seit sechs Jahren gehören die vom Forstamt organisierten und gemeinsam mit den Klassenlehrerinnen und Klassenlehrern der fünften Klassen der Burgsitzschule durchgeführten Waldjugendspiele zum festen und attraktiven Höhepunkt der Einführungswoche der neu gebildeten fünften Klassen. Einen zusätzlichen Anreiz setzen seit Beginn der Waldjugendspiele die Hegegemeinschaft Spangenberg und der Kreisjagdverein, die im Wechsel Geldpreise für die Klassenkasse ausloben.

Seit vielen Jahren haben immer wieder einmal gemeinsame Aktionen mit den Revierbeamten des Forstamtes den Unterricht bereichert und die originären Begegnungen den Zugang zu den Inhalten der Lehrpläne erleichtert und begreifbar gemacht. Die Palette reicht von einer Exkursion zu Frühblühern am Schlossberg bis zur Vernetzung von Feuchtbiotopen im Dörnbach mit internationaler Beteiligung. Zumeist waren Schüler in Projektgruppen oder Klassen beteiligt. Mit den Waldjugendspielen bekommt jede Schülerin und jeder Schüler unserer Schule diesen Impuls "einfach mal in den Wald zu gehen", nun im Jahrgang 5. Dies  wollen wir gern fest im Schulprogramm verankern und dafür sagen wir dem Forstamt Melsungen Danke!

Diaserien über die Bäume des Waldes oder Leben im Todholz verstauben zum Glück im Sammlungsschrank, weil es bei uns in Spangenberg keinen Grund gibt, nicht vor die Tür zu gehen und am Original zu lernen. Waldjugendspiele bieten ein breites Methodenspektrum, um Natur auf verschiedensten Ebenen zu erleben. In spielerischer, handlungsorientierter Form werden auch  Sinneserlebnisse auf unterschiedlichen Wahrnehmungskanälen ermöglicht. Es werden Forschungs- und Suchaufgaben gestellt und spielerisch Körpererfahrungen ermöglicht, Anreize für eine Auseinandersetzung mit der Natur.

Absägen von 500 g Fichte Gemeinsame Planungen Erklärungen

Wir wissen, dass kopflastige Informationen zu wenig sind, um einen positiven Zugang zum Wald und zur Natur und Umwelt herzustellen. Nicht im Klassenzimmer, sondern auf spielerische Weise den Wald erforschen und die Zusammenhänge in der Natur selbst entdecken das ist unser Motto, Spaß und Neugier dürfen nicht zu kurz kommen, denn sie sind die besten Antriebsfedern beim Lernen. Eine wirkungsvolle Umwelterziehung kann am besten durch unmittelbares Erleben und eigenes Entdecken erfolgen. Einerseits können wir feststellen, dass es ein steigendes Umweltbewusstsein gibt, andererseits die Kenntnisse über unsere unmittelbare Natur aber abnehmen. Hirsch und Wildschwein sind natürlich bekannt, wobei das Reh immer noch einmal als Frau vom Hirsch herhalten muss. Aber Buntspecht, Eichelhäher oder Borkenkäfer sind auch für unsere Schüler überwiegend unbekannte Wesen und der Wald droht zur Kulisse für Videospiele zu verkommen.

Naturkontakte sind eine wichtige Voraussetzung für eine gesunde seelische Entwicklung von Kindern. Heutzutage unterzieht sich fast jeder vierte Grundschüler bereits irgendeiner Therapie. Nach Meinung des amerikanischen Umweltaktivisten Richard Louv ist die aktuelle Generation, die erste, bei der das direkte Band zur Natur zu zerreißen droht. Aus diesem Naturverlust entstehen körperliche und psychische Defekte. Er prägte dafür in seinem Buch "Last child in the woods" den Begriff der "Natur-Defizit-Störung".

"Man braucht eigentlich nur Zeit und einen Wald", habe ich kürzlich einem Bekannten gesagt, der nicht mehr wusste, was er seinem hyperaktiven siebenjährigen Sohn noch anbieten könnte. Nimm dir etwas zu lesen mit, setz dich auf einen Baumstumpf und schau nicht auf die Uhr.  Allein in deinem Gesichtskreis werden sich im Wald ausreichend Anlässe finden, die dem Bewegungsdrang, der Abenteuerlust und der Phantasie von Kindern Rechnung tragen und vielfältigste Anlässe für Entdeckungen und Erkenntnisse bieten. Man muss die Neugier der Kinder nutzen. Aus der Erfahrung mit meinem Enkel weiß ich, dass es funktioniert.

Forstwirte zum Anfassen Ein Forstwirt in Sicherheitskleidung Gemeinsames Lernen

Zurück zu Schule und Unterricht. Natürlich werden Lerninhalte eingeordnet, systematisiert und evaluiert. Vor fünfzig Jahren und mehr war Waldpädagogik noch definitionsfrei, weit verbreitet und ohne vorgegebene Struktur oder Kategorisierung, sie war irgendwie selbstverständlich. Heute werden Bildungsstandards und Abschlussprofile erstellt, was in vielen Bereichen durchaus Sinn macht. "Zielperspektiven des Faches Biologie sind ein respektvoller und reflektierter Umgang mit allen Lebewesen, die Erhaltung der eigenen Gesundheit und der verantwortliche Umgang mit der Umwelt." "Naturwissenschaftliche Bildung geht also über ein pragmatisches Bildungskonzept hinaus, das lediglich auf die Anwendung von Wissen abzielt; sie umfasst verschiedene Wissensarten und Kompetenzen sowie weitere nicht-kognitive Komponenten wie Neugierde, Interesse, Motivation, Einstellungen und Haltungen gegenüber Naturwissenschaften."

Wenn man unsere jahrelange Zusammenarbeit mit dem Hessischen Forstamt Melsungen reflektiert, stellt man fest, dass längst dafür Sorge getragen wurde, dass Teile der oben zitierten, neuesten Zielperspektiven des Hessischen Kultusministeriums für das  Fach Biologie in hohem Umfang, spielerisch und handlungsorientiert umgesetzt wurden. Erst kürzlich hat die Waldpädagogin des Forstamtes an einer Biologiefachkonferenz teilgenommen und eine weitere Zusammenarbeit wurde vereinbart.

Die Burgsitzschule Spangenberg freut sich, einen  so  kompetenten und engagierten Partner für die originären Begegnungen mit der Natur zu haben und bedankt sich bei allen Beteiligten des Forstamtes.

Wilfried Brietzke

-Pädagogischer Leiter-